Interview: Marco Merlo über mentale Stärke durch Muay Thai
Marco Merlo ist professioneller Muay Thai Boxer aus Spanien und betreibt in Chiang Mai, Thailand sein eigenes Muay Thai Gym mit dem Namen „Spirit of Siam“. Uns erzählt er im Interview, wieso mentale Stärke im Muay Thai so wichtig ist und warum Kraftsport auch bei Büroathleten auf dem Trainingsplan stehen sollte.
Letztes Update:
Oktober 17, 2019
Veröffentlicht in
Body & Mind
Marco Merlo ist professioneller Muay Thai Boxer aus Spanien und betreibt in Chiang Mai, Thailand sein eigenes Muay Thai Gym mit dem Namen „Spirit of Siam“. Uns erzählt er im Interview, wieso mentale Stärke im Muay Thai so wichtig ist und warum Kraftsport auch bei Büroathleten auf dem Trainingsplan stehen sollte.
BRAINEFFECT: Marco, kannst du zu Beginn ganz allgemein erklären, was Muay Thai genau ist?
Muay Thai ist eine Kampfsportart, welche in Thailand früher zur Selbstverteidigung im Krieg genutzt wurde. Diese alte Form nennt sich Muay Boran. Zu Kriegszeiten wurde noch mit Waffen gekämpft. Doch mit den Jahren entwickelte sich der Stil mehr und mehr zu einem rein körperlichen Kampfsport. Anstatt auf Waffen zurückzugreifen, begann man ausschließlich mit Fäusten, Ellbogen, Knien und Kicks zu kämpfen. Andere Kampfsportarten konzentrieren sich oftmals nur auf die Fäuste oder nur auf Kicks, zum Beispiel Taekwondo Doe. Muay Thai hingegen kombiniert die acht Waffen - Fäuste, Ellbogen, Knie und Kicks - weshalb es eine der aggressivsten Kampfsportarten ist. Außerdem ist es eine Kampfsportart des Angriffs, während zum Beispiel bei chinesischen Kampfsportarten eher die Verteidigung im Vordergrund steht. Was alle Kampfsportarten gemein haben ist eine spirituelle Komponente. Amulette als Talisman und zum Schutz vor bösen Geistern werden etwa in chinesischen Kampfsportarten von den Kämpfern gerne getragen. Muay Thai Kämpfer gehen hier noch einen Schritt weiter und tätowieren sich bestimmte Symbole als Talisman auf die Haut. Muay Thai ist inzwischen Nationalsport Thailands und mittlerweile sogar weltweit bekannt.
BRAINEFFECT: Wann hast du mit Muay Thai begonnen?
Das war ungefähr 2006/2007. Ich lebte damals noch in Spanien mit meiner Familie und hatte eine Menge Probleme in den Straßen. Um mich zu verteidigen, habe ich mit dem Kickboxen begonnen. Da war dieser Typ in meinem Verein, der gerade aus Thailand zurückkam und er erzählte mir von Muay Thai, wovon ich zuvor noch nie gehört hatte. Aber es klang sehr interessant und ich wollte es unbedingt lernen. Als er seinen eigenen Muay Thai Club gründete, begann ich also mit ihm zu trainieren und beschloss selbst nach Thailand zu gehen. 2008, als ich genug Geld gespart hatte, verwirklichte ich mir diesen Traum und begann in Bangkok zu trainieren. Anfangs wollte ich nur ein Jahr dort bleiben, doch als ich begann an Wettkämpfen teilzunehmen und so mein Geld zu verdienen, blieb ich länger und immer länger in Thailand. Und jetzt sind es inzwischen 11 Jahre, die ich hier lebe.
Mein eigenes Gym, Spirit of Siam, habe ich 2015 hier in Chiang Mai eröffnet. Ich hatte damals eine Knieverletzung und war fast 28 Jahre alt. Als sich die Möglichkeit, was Eigenes zu eröffnen ergab, ergriff ich also die Chance. Irgendwann ist die Karriere als Boxer schließlich zu Ende. Ich bin wirklich sehr stolz darauf, als Ausländer in Thailand ein Gym aufgebaut zu haben, das sich einen Namen gemacht hat und gegen thailändische Gyms antritt. Denn Thais nehmen Ausländer, die hier ein Muay Thai Gym betreiben, oft nicht ernst und glauben natürlich, dass ihre Clubs besser sind. Ich hatte es also nicht leicht, aber ich bin stolz, dass ich mich in den vier Jahren beweisen konnte und bereits zahlreiche Muay Thai Boxer auf ihre Fights vorbereitet habe, die am Ende sehr gute Ergebnisse erzielen konnten.
BRAINEFFECT: Was macht denn deiner Meinung nach einen guten Muay Thai Boxer aus?
Für mich ist das Allerwichtigste, dass jemand gute Werte hat. Schließlich bist du nicht nur ein Boxer, sondern auch ein Mensch. Das Wichtigste für mich ist Ehrlichkeit. Und dass du dich selbst respektierst. Zusätzlich brauchst du eine Menge Mut, Disziplin und Leidenschaft für den Sport. Wichtig ist sowohl deine mentale als auch deine physische Stärke. Früher glaubte ich noch, dass das Ergebnis eines Kampfes zu 60 Prozent von der körperlichen und zu 40 Prozent von der mentalen Stärke abhängt. Doch inzwischen sage ich, dass du 100 Prozent von beidem brauchst, um ein guter Boxer zu sein. Denn während eines Kampfes liegt ein unglaublicher Druck auf dir, du hast so viele Emotionen in dir. Wenn du zum ersten Mal in den Ring steigst und auf deinen Gegner triffst, mit all den Zuschauern im Hintergrund, dann kommen natürlich Bedenken und Ängste auf. Wenn du also mental nicht gut auf diese Situation vorbereitet bist, dann spielt es kaum eine Rolle, wie gut du technisch bist. Du wirst dich blockieren, da die Angst dein Reaktionsvermögen einschränkt. Viele geben natürlich nicht zu, dass sie diese Ängste haben. Aber jeder Mensch hat sie. Das Wichtigste ist, sie anzuerkennen und ihnen entgegenzutreten. Nur so kannst du sie besiegen. Und dann wirst du auch ein guter und erfolgreicher Muay Thai Boxer.
Bereit körperlich und mental alles zu geben mit dem KICKBAR
BRAINEFFECT: Du trainierst in deinem Gym professionelle Boxer, aber auch ganz normale Menschen, die Muay Thai lernen und fit werden wollen. Wie schaffst du es, das Beste aus jedem herauszuholen?
Nun, egal ob jemand ein professioneller Boxer werden will oder einfach nur trainieren möchte,um fitter zu werden: Ich sehe in jedem einen potentiellen Champion. Ganz egal, welches Level sie gerade haben. Ich sehe ihr Potenzial und ihre individuellen Ziele. Mein Job ist es also, das Beste aus ihnen herauszuholen und ihr Selbstbewusstsein aufzubauen. Sie müssen selbst glauben, dass sie es schaffen können ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Und selbst,wer zu Beginn nur Muay Thai trainiert, um fit zu werden und nie vorhatte in den Ring zu steigen, wird es sich irgendwann vielleicht doch zutrauen. Ich glaube, dass jeder von uns einen Meister in sich selbst hat. Viele wissen gar nicht, welches Potential sie in sich tragen, weil sie sich viel zu sehr auf die undAußenwelt den Vergleich mit anderen konzentrieren. Doch jeder kann es schaffen. Und dieses Potenzial versuche ich durch das Training freizulegen.
BRAINEFFECT: Hier in deinem Gym in Chiang Mai trainierst du sechs Stunden pro Tag, sechs Mal die Woche. Die meisten Menschen haben aber natürlich nicht so viel Zeit für Sport. Was für ein Training würdest du Vielbeschäftigten empfehlen?
Menschen, die kaum Zeit für Sport haben, lege ich vor allem Krafttraining ans Herz und statt immerzu nur zu joggen. Die Muskeln sind sehr wichtig, um Verschleiß und Verletzungen vorzubeugen. Wer nur läuft oder walkt, der wird seine Muskeln nicht genug stimulieren. Neue Studien zeigen, dass Krafttraining für Menschen jeden Alters wichtig und geeignet ist. Es sorgt dafür, dass bestimmte Hormone ausgeschüttet werden, die das Wohlbefinden steigern. Und auch im Profisport zeigt sich, dass Krafttraining zu besseren Ergebnissen führt. Wer zum Beispiel gerne läuft, sollte das im Hinterkopf behalten: Krafttraining für den Muskelaufbau ist sehr wichtig, um besser zu performen.
BRAINEFFECT: Du forderst Tag für Tag sehr viel von dir. Wie bleibst du fokussiert?
Wir sind alle Menschen und natürlich habe auch ich meine Launen. Ich liebe Muay Thai, aber auch ich habe manchmal Tage, an denen ich keine Lust habe zu trainieren oder mich schlapp fühle. Aber ich habe über die Jahre eine immense Disziplin entwickelt. Das ist nicht einfach, aber da ich über Jahre jeden Tag hart trainiert und gearbeitet habe, ist es für mich eine Gewohnheit geworden. Wenn ich mich sehr müde fühle, trainiere ich vielleicht etwas weniger, aber ich lasse das Training nicht komplett ausfallen. Es ist also wichtig, dranzubleiben. Aber natürlich gibt es auch Situationen, wegen denen du nicht trainieren kannst oder dein Körper ist nicht in der richtigen Verfassung zu trainieren. Dann ist es wichtig auf seinen Kopf und seinen Körper zu hören. Das ist manchmal ein schmaler Grat. Wenn dein Körper wirklich zu müde oder überanstrengt ist, könntest du Verletzungen riskieren. Falls dein Kopf dir aber nur aus Faulheit einredet nicht zu trainieren, dann riskierst du eine Gewohnheit der Faulheit zu etablieren. Das Wichtigste, um fokussiert zu bleiben, ist es also gesunde Gewohnheiten zu entwickeln, die einem dabei helfen an etwas dranzubleiben.
BRAINEFFECT: Wie gehst du persönlich mit viel Stress um? Hast du bestimmte Rituale, um ihn zu minimieren?
Wenn ich so einen Punkt erreiche, dann suche ich die Stille. Ich gehe dann an einen ruhigen Ort, zum Beispiel einen Park, meditiere und lasse die Energie fließen. Ich versuche in mich selbst hineinzuhorchen und herauszufinden, was mich an diesen Punkt gebracht hat. Ein Beispiel: Ich habe gelernt, dass wenn ich einen Konflikt mit einer Person habe und nicht sie schuld ist, dass ich wütend werde. Es hat mit mir selbst zu tun. Die andere Person ist wie ein Spiegel unseres eigenen Ichs. Mich interessiert also nicht der Streit, sondern wieso ich auf eine bestimmte Weise reagiert habe. Ich versuche also in stressigen Situationen in mich zu gehen.
BRAINEFFECT: Muay Thai ist ein Sport, der einem viel abverlangt, sowohl körper als auch psychisch. Wie wichtig ist die Regeneration hierbei?
Ich würde sagen, Muay Thai verlangt einem mental mehr ab als körperlich. Wer eine Kampfsportart betreibt, erlebt Stress und Emotionen, die man sonst nicht kennt. Vor einem Kampf trainierst du stundenlang hart, dein Körper tut weh und ist müde, du weißt oft lange nicht, wer genau dein Kontrahent sein wird oder hast vielleicht den letzten Kampf verloren. Diese Dinge setzen dich unter Druck und du musst mental sehr stark sein, um dich von diesen Gefühlen nicht überwältigen zu lassen. Am besten bist du einfach du selbst und hast Spaß an der Sache. Wenn du mental an deine Grenzen kommst, triff am besten Freunde und rede mit ihnen über eventuelle Ängste, zum Beispiel vor einem Kampf. Verstecke deine Gefühle nicht. Finde einen Raum in dem du du selbst sein kannst. Mach zum Beispiel Dinge, die sich komplett von Muay Thai unterscheiden. So kannst du mental wieder auftanken und dich regenerieren.
Bereit für den Kampf der Regeneration mit RECHARGE
BRAINEFFECT: Hast du allgemeine Ernährungstipps?
Ich bin großer Fan des Verhältnisses 80 zu 20: 80 Prozent von dem, was ich esse, ist clean und 20 Prozent spare ich mir für andere Dinge auf, etwa einen Kaffee oder durchaus ein Stück Kuchen. So garantiere ich,dass meine Ernährung qualitativ hochwertig ist und erlaube es mir trotzdem,sogenannte ungesunde Dinge zu essen. Damit vermeide ich, dass ich mich zu sehr stresse. Ich empfehle auf nichts zu verzichten. Lieber darauf achten, dass die Ernährung ausgeglichen ist und alle wichtigen Nährstoffe aufgenommen werden. Je natürlicher, also cleaner ein Lebensmittel, umso besser ist es für dich.
BRAINEFFECT: Nutzt du selbst Supplemente, um dein Wohlbefinden oder deine Performance zu steigern?
Ja, ich nehme regelmäßig Proteine, Fischöl und Magnesium ein. Manchmal nutze ich auch Creatin. Protein als Supplement ist wichtig für mich, da ich während des Trainings viele Kalorien verbrenne. Würde ich versuchen das allein über meine Ernährung aufzunehmen, würde ich mich zu voll fühlen und meine Verdauung wäre so überlastet, sodass ich für die nächste Trainingseinheit nicht gut gerüstet wäre. Ich nehme es also ein, um mein optimales Proteinlevel zu erreichen. Fischöl nutze ich für meine Gelenke. Und jeden Abend Magnesium als Muskelrelaxans und für den Schlaf. Denn guter Schlaf ist wichtig, damit sich der Körper regenerieren kann. Die Länge ist dabei gar nicht so wichtig, wie die Qualität des Schlafes. Creatin nutze ich, um meine Performance während des Trainings zu verbessern. Aber ich nehme es wie gesagt nicht regelmäßig ein, meist nur etwa vier Monate pro Jahr.
Hochwertiges Fischöl fü deinen Körper
BRAINEFFECT: Was ist dein ultimativer Tipp, um zu relaxen und deine Gedanken zu ordnen?
Ich bin großer Fan von bewusster Meditation. Dabei geht es darum, sich seiner Gedanken und der Art, wie man agiert und spricht bewusst zu sein. Denn all diese Dinge haben Energie. Ich versuche mir dieser Energie in bestimmten Situationen genau anzusehen. Ich beginne dann zuerst auf meine Atmung zu achten, für mindestens fünf bis zehn Minuten. Auf diese Weise schaffe ich es zu entspannen und Herr über das Chaos in meinem Kopf zu werden. Ich atme, werde ruhiger und kann mir dann genau ansehen, was in meinem Kopf vor sich geht, um es dann zu analysieren. Also ja, fünf bis zehn Minuten bewusst zu atmen ist meine Routine, um zu entspannen.